Werner Lutz Handschrift

Lyriker und Maler

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«Die Mauern sind unterwegs, heißt der neue Gedichtband von Werner Lutz, und darin finden sich auf jeder Seite knappe Zeilen, die man erst anstreichen und dann auch gleich an die Wand schreiben möchte. Es sind unerwartete Sinnzusammenhänge, die Bilder freisetzen, welche wir so nicht kannten. Die Steine öffnen / nachsehen. Eine Erlösungsarbeit mit Worten, aber ohne viel Worte: Lutz, das wissen wir von seinen früheren Gedichten her, ist alles andere als geschwätzig. In den neuen Gedichten treibt er das Wort noch weiter in die Enge, er scheint mit der Sprache zu reden, und diese gibt unerwartete Bilder zurück. Nein, um kristallisiertes Denken geht es hier nicht, nicht um irgendwelche Wahrheiten. Aphorismen sind das also nicht, auch wenn die äußere Gestalt den Vergleich nahelegt. Diese Gedichte sind wie Suchbewegungen, sie bleiben offen auf alle Seiten hin.»

Martin Zingg, Drehpunkt, 1996

«Auch der Rückzug ins Schweigen hinterlässt Sprachspuren. Der dritte Gedichtband des 1930 geborenen Schweizer Lyrikers und Malers Werner Lutz enthält 275 Texte, von denen manche nur aus einem einzigen Wort bestehen, keiner länger ist als sechs Zeilen. Hier hat einer das Gedicht in jenem fingerbreiten Streifen Niemandsland zwischen Sprechen und Verstummen angesiedelt. Werner heißt er / ich übe mit ihm das Gehen. Dieses Gehen in kleinen vorsichtigen Sprachschritten wird gewissermaßen jeden Abend verlernt und muss jeden Morgen neu gelernt werden. Zwischen Ich-Verlust und erstauntem Zusichselberkommen, Weltverlust und Wiederfinden haben diese Notate ihren beweglichen, von Windböen der Vergeblichkeit durchwehten Ort.

In der Verknüpfung von reflexiven und bildlichen Elementen steckt — neben dem Gestus des tastenden Sichzurechtfindens und dem gedämpften Tonfall: Gerade noch genügend Licht / für ein Selbstgespräch — das Charakteristische dieser Textfragmente, deren Bruchstellen ungeglättet bleiben und die wie die Relikte eines einzigen zerstückelten Gedichts wirken.»

Albert von Schirnding, Süddeutsche Zeitung, 1996

«Kürze, Prägnanz und Lakonie zeichnen diese Texte aus, von ‹großen Worten› scheint Lutz nichts zu halten. So gelingt es ihm in seinen besten Gedichten auch das Schwere, Dunkle und Schwierige leicht auszusprechen. Mit wenigen Versen — oft sind es nur zwei oder drei — beschwört er Stimmen herauf, spricht über Alltägliches, über die Natur, über Trauer und Einsamkeit, Verlust und Vergeblichkeit und immer wieder auch über sich und seine Schreibarbeit.

Manche der Gedichte nähern sich dem Aphorismus: Die Steine öffnen / nachsehen oder Nicht mehr antworten / regnen lassen. Andere verbinden auf knappstem Raum Natur und menschliche Befindlichkeit: Lang geschlafen / erst aufgewacht im Herbst. Ein Gedicht anfangen das nie fertig wird / so hätte ich leben wollen heißt es einmal. Vielleicht lebt Werner Lutz ja doch so, schreibt an einem einzigen Gedicht und mit jedem Buch gibt er Nachricht von unterwegs.»

Matthias Kussmann, Badisches Tagblatt, 1996